Von Satzzeichen und ihren Emotionen
Eine Ode an das Ausrufezeichen… denn manchmal geht es einfach nicht anders oder doch?
Da meint man es gut und tritt prompt ins Fettnäpfchen… Das ist wohl jedem und jeder von uns schon einmal passiert. Aber dass dies auch mit einem Ausrufezeichen geschehen kann, das war mir neu! Aber man lernt ja bekanntlich nie aus und Sprache ist halt manchmal auch eine Geschmackssache. Oder etwa nicht? Gemeinsam mit zwei lieb gewonnen KollegInnen haben wir Mitte des Jahres die Schreibfedern gewetzt und uns gebattelt.
Ich habe diesen Sommer LinkedIn (wieder)entdeckt. Früher habe ich damit vor allem mein Netzwerk gepflegt, seit diesem Sommer schreibe ich, Corona und der freien Zeit sei Dank, gerne auch Beiträge und lese diejenigen der anderen. Ab und an verfasse ich dann zu einem Beitrag, der mich interessiert, auch einen Kommentar. So geschehen im August als ich einem lieben Kommunikations-Kollegen meine Wertschätzung kundtun wollte. Ich schrieb also – frisch von der Leber weg und gespickt mit Emotionen – einen kurzen Kommentar. Und bei mir ist es ganz klar: Wenn Gefühle ins Spiel kommen, dann muss einfach das Ausrufezeichen ausgepackt werden! Da reicht so ein profaner Punkt dann nicht aus, das kann ja jeder. Schliesslich will ich meiner Aussage gebührend Ausdruck verleihen. Nun vielleicht habe ich es beim letzten Mal dann doch etwas übertrieben, denn in drei Sätzen waren es ganze drei Ausrufezeichen! Was ich als begeisterter Ausrufezeichen-Fan nicht ahnen konnte: Mein Gegenüber gehört zur Punkt-Fraktion. Der Gegenkommentar liess deshalb nicht lange auf sich warten… Und so entstand ein spontaner Austausch über Satzzeichen. Ich wusste gar nicht, dass bei Satzzeichen so viele Emotionen mitschwingen und das nicht nur bei mir! Denn lustigerweise hat dann eine Kollegin von uns, denselben Beitrag ebenfalls kommentiert, auch mit drei Ausrufezeichen in drei Sätzen! Nun war klar, die Sache ist nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheint. Was tun in so einer verzwickten Situation, um dem Ausrufezeichen gerecht zu werden? Wir entschieden uns, die Argumente auf den Tisch zu legen. Sie finden nachstehend die zwei Plädoyers zum Einsatz des Ausrufezeichens- einmal Kontra und einmal Pro. Und damit es wirklich ausgewogen und neutral ist, stammen die Argumente nicht von mir, sondern von den beiden andern Beteiligten. Auf die Wörter fertig los...
Die Punktfraktion: Gute Werbetexter*innen platzieren ein Ausrufezeichen pro Jahr
Das Satzzeichen mit der druckaufbauenden Bezeichnung - das Ausrufezeichen; wie die Ausrufer im Mittelalter oder helvetisch ein Synonym für beanstanden. Die ursprüngliche Wirkung, um einem vorangegangenen Satzteil Nachdruck einzuverleiben, scheint heute in der Zeit des kollaborativen Wissensgewinns und der Einladung in Lernlandschaften unnötig laut. Laute Texte lassen sich mit anderen Massnahmen der Interpunktion und dramatisierender Wortwahl formen. Ausrufezeichen wirken behavioristisch - sie funktionieren als „Einpauker“ von Informationen. Ausrufezeichen versprühen mit ihrem Imperativ-Gebrüll Lärmimmissionen. Ausrufezeichen hypnotisieren unversierte und unaffine Schreiber*innen zu invasivem, sich selber rasch bis auf Null Wirkung abnutzendem Gebrauch dieses protzigen Zeichens. Ein Symbol für das Spannungsfeld der selbst angestrebten Textkreativität und Selbstgefälligkeit im Quick-Fix-Format? Ich schreibe seit Jahren ausrufezeichenlos. Meine Entdeckungsneugier nach Alternativen im Universum der Sprache hat mich beispielsweise in die Galaxie der rhetorischen Figuren und dort bis zum Planet der Onomatopöien geführt. Einfach worttastisch.
Als Kommunikationsprofi schätze ich auch bei den Satzzeichen die Vielfalt – es lebe das Ausrufezeichen!
Um in der heutigen, informationsüberfluteten Gesellschaft überhaupt noch wahrgenommen zu werden müssen wir Kommunikationsfachleute bei unseren Texten alle Register ziehen. Satzzeichen wie das Ausrufezeichen sind eine wunderbare Möglichkeit, lebendige und wortgewaltige Texte zu unterstützen. Gerade mit dem Ausrufezeichen kann ich im geschriebenen Text meiner Botschaft noch mehr Gewicht und eine gewisse Tonalität verleihen. Ausrufezeichen sind schlicht und elegant. Sie transportieren ehrlich Emotionen und das persönliche Befinden. Ich setze damit wohldossierte, wertvolle Akzente in Texten und Kommentaren, denn dazu ist das Ausrufezeichen da. Ich bin für eine lebendige und ausdrucksstarke Kommunikation und nutze gerne die ganze Bandbreite an Optionen. In dem Sinne: Nutzen wir nicht nur Punkt, Komma und Fragezeichen, sondern auch das Ausrufezeichen. Es hat seine Berechtigung und soll kein Schattendasein fristen, es soll und darf zum Einsatz kommen...
Welche Sichtweise überzeugt Sie mehr und welches Argument trifft den Nagel auf den Kopf? Ich freue mich auch einen spannenden Austausch per E-Mail, Telefon oder Videokonferenz, wie und wo immer wir uns am Ende dieses aufregenden Jahres treffen mögen!